Erinnern - Verstehen – Gedenken – Bewältigen?
27. November 2013 10:00 Uhr von Patrick
Die Stadt Schorndorf gab den Anstoß für eine Veranstaltungsreihe mit dem Namen „Schorndorf 1933 – 1945 – Erinnern. Gedenken. Mahnen“, um des achtzigsten Jahrestages der Machtergreifung durch Hitler zu gedenken. Der CDU Stadtverband Schorndorf nahm diesen Impuls auf und Helmut Topfstedt, der Vorsitzende der SeniorenUnion im Stadtverband, machte es sich zur Aufgabe eine Veranstaltung in dieser Reihe zu organisieren. Er konnte Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Becht vom Historischen Institut der Universität Stuttgart dazu gewinnen, einen einführenden Vortrag zu halten und anschließend ein Podiumsgespräch zu moderieren. Hier sollten Zeitzeugen ihre Erinnerungen und Menschen der Nachkriegsgeneration ihren Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichten mit dem Publikum teilen. Zur Veranstaltung, die am 14. Oktober in der Galerie für Kunst und Technik stattfand, konnte der Vorsitzende des Stadtverbandes, Ingo Sombrutzki, über 50 Personen begrüßen. Der Veranstaltungstag fiel auf den 80. Jahrestag des Austritts des Deutschen Reichs aus dem Völkerbund.
Dieses Ereignis nahm Prof. Brecht zum Anlass dem Publikum weitere wichtige Ereignisse in der Folgezeit in Erinnerung zu rufen, wie etwa die Wiedereinführung der Wehrpflicht, das Flottenabkommen mit Großbritannien (1935), die Remilitarisierung des Rheinlandes (1936) und die olympischen Spiele (1936). Mit seinen Ausführungen weckte er bei den Zuhörern die Erkenntnis, dass diese Ereignisse – es waren ja bewusst gewählte Propaganda-Maßnahmen des Regimes – ganz zwangsläufig zum Weltkrieg führen mussten. Unmittelbar nach dem Krieg standen die Menschen – so der Professor – großen Herausforderungen gegenüber, mussten sie doch mit dem Erkennen der Schuld und der Täter weiterleben. Die Nachkriegsgenerationen wiederum stehen vor der Aufgabe, vor den nicht erlebten und damit letztlich abstrakten Ereignissen nicht zu kapitulieren und das Gedenken aufrecht zu erhalten.
Dass es uns dabei hilft, Menschen dieser Zeit ein Gesicht zu geben, veranschaulichte der Redner durch ein kurzes, unangekündigtes Experiment: er zeigte unkommentiert das Bild einer jungen Frau – augenscheinlich ein Foto aus den vierziger Jahren. Gleichzeitig erzählte er die authentische Lebensgeschichte einer Jüdin, die den Holocaust mit all seinen Schrecken überlebte. Automatisch verband das Publikum beim Zuhören das gezeigte Bild mit dieser Jüdin und war erschüttert über das Gehörte. Tatsächlich aber handelte es sich um ein Filmplakat der Schauspielerin Meryl Streep aus den siebziger Jahren. Sie spielte eine Hauptrolle in der Fernsehserie „Holocaust“ - eine der ersten filmischen Auseinandersetzungen mit dem Thema „Judenverfolgung im Dritten Reich“, die damals die Deutschen umtrieb.
Nach diesem Exkurs folgte des Podiumsgespräch mit den Zeitzeugen und Menschen der Nachkriegsgeneration.
Als Zeitzeuge begann Herr Meng, geboren 1926, die Runde mit dem Vortrag der Erlebnisse eines Stuttgarter Bürgers zu Zeiten der Wirtschaftskrise, um den Bogen weiter zu spannen und Verständnis zu wecken vor welchem Hintergrund die Machtergreifung zu sehen ist.
Herr Irion, in der Burgstraße (damals Adolf-Hitler-Straße) 1942 geboren und aufgewachsen, berichtete davon, dass die überwiegende Mehrheit seiner Mitschüler nach dem Krieg keinen Vater mehr hatten.
Herr Schützenauer, der aus Sicherheitsgründen von Stuttgart zu seinen Großeltern nach Schorndorf geschickt wurde, erinnerte sich an die bedrückende Stimmung, die bei den Erwachsenen zu sehen und zu spüren war. Auch an die Anteilnahme, die seine Mutter nahm, wenn in der Nachbarschaft wieder einmal ein Kriegsopfer zu betrauern war. Und natürlich an den Tag, als bei der Familie selbst die Nachricht vom Tod des Vaters eintraf. Frau Wurst erzählte von den Nachkriegsjahren, als die Versorgung knapp und Hunger mehr als nur ein Wort war. Aber auch von der Zeit, als sie bei einem Frankreich-Aufenthalt in den 60-ziger Jahren mit der deutschen Geschichte konfrontiert wurde. Aus einem Besuch in Israel brachte sie die Erkenntnis mit, dass Antisemitismus unbedingt zu bekämpfen ist.
Herr Dr. Lempp (1929), dessen Vater als evangelischer Dekan tätig war, schilderte, wie er sich mit 13 als Offiziersanwärter registrieren ließ, um damit einem drohenden Einzug in die SS zu entgehen, aber dann doch noch dorthin abkommandiert wurde und das Kriegsende als 15-jähriger erlebte.
Durch Herrn Weiss-Kuka, der 1948 in der Tschechoslowakei geboren wurde und die Situation der deutsch-stämmigen Einwohner erlebte, wurde das Augenmerk auch auf die Vertreibungen nach dem Krieg gerichtet.
Frau Lewe (1949), die als Geschichtslehrerin lange Jahre in Rudersberg tätig war, konnte aus ihrer Erfahrung berichten, wie wichtig es ist Schülern die Vergangenheit nahe zu bringen und verständlich zu machen.
Als Vertreter der Nachkriegsgeneration berichtete Herr Hoppe (1966), der Ortsvorsteher aus Schornbach, vom Geschichtsunterricht und der Distanz zum Thema „Drittes Reich“ - bis zu einem Besuch im Konzentrationslager Dachau, in dessen Ausstellung den Opfern ein Gesicht gegeben wurde.
Lars Weller, Vorsitzender der JU in Schorndorf und jüngster Teilnehmer, stellte die Frage, die sich wohl jeder einmal stellt: Hätte das verhindert werden können? Prof. Brecht fasste im Verlauf des Podiumsgesprächs die Anmerkungen der Teilnehmer immer wieder zusammen und reicherte sie in mit eigenen Anmerkungen an. Dass das Publikum regen Anteil an den Ausführungen nahm, sah man daran, dass sich die Versammlung nur sehr langsam auflöste, und überall Grüppchen im Austausch miteinander standen, nachdem Ingo Sombrutzki sich beim Gastredner Prof. Brecht bedankt und ein kleines Präsent übergeben hatte.